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Spirit of Communication

Jörg Wenzel, 31. Mai 2006

1000facher Organraub in China bleibt unveröffentlicht

Widerrechtlich inhaftierte Anhänger der Meditationsbewegung Falun Gong werden in speziellen Lagern festgehalten und bei Bedarf ihrer Organe für Transplantationen beraubt. Dahinter steckt eine unheilige Allianz aus kommunistischem Machthabern, Militärs, Organhändlern und Ärzten. Falun Gong-Praktizierende haben eine Vielzahl von Zeugenaussagen und Indizien vorgelegt, die diese Vorwürfe untermauern. Doch die deutschsprachigen Medien schweigen zu diesen und weiteren Themen, die mit der Verfolgung von Falun Gong zusammenhängen, wie die folgende Untersuchung belegt.

„Sie sind garantiert kerngesund, sehr frisch.“, preist der Arzt des Krankenhauses einer chinesischen Großstadt seine Ware an. Die Reporterin hakt nach: „In manchen Zwangsarbeitslagern sind Falun Gong-Praktizierende inhaftiert, und später … werden ihnen ihre Organe entnommen, solange sie noch leben?!“ „ … ja!“, antwortet der Arzt. Der Mitschnitt dieses Telefonats, veröffentlicht in der Onlineausgabe der Neuen Epoche vom 19.4.2006 ist kein Einzelfall. Allein in diesem Artikel hat die Zeitschrift vier Mitschnitte dieser Art veröffentlicht. Die Weltorganisation zur Untersuchung der Verfolgung von Falun Gong (WOIPFG) bestätigt diese Praxis und führt zahlreiche weitere Beispiele an.

Hinweise auf solche Konzentrationslager, die vornehmlich zur profitablen Verwertung der Organe von Falun Gong-Praktizierenden dienen, gibt es schon seit einigen Jahren, sie waren aber nie stichhaltig genug, um damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Das änderte sich am 10. März 2006, als ein ein ehemaliger chinesischer Journalist erstmals detailliert und noch anonym über ein solches Lager in Sujiatun berichtet, in dem bis zu 6000 Falun Gong-Praktizierende als lebende Organlager gefangen gehalten wurden. Inzwischen ist dort niemand mehr. „Das KP-Regime in Peking hatte zu den Vorwürfen fast drei Wochen lang geschwiegen, nannte dann die Zeugen kurzerhand Lügner und nutzte die Zwischenzeit offensichtlich gut zur gründlichen Beseitigung der Beweise für die verbrecherischen Vorgänge.“, schreibt die Neue Epoche dazu.

Mehr als 100. 000 potentielle Organlieferanten

Kurz darauf meldet sich eine weitere Zeugin, die Ex-Ehefrau eines an den Organentnahmen beteiligten Chirurgen, die ihre Aussage ebenfalls anonym macht und die Aussagen des Journalisten bestätigt. Am 2.4.2006 tritt dann ein dritter Zeuge, ein ehemaliger Militärarzt an die Öffentlichkeit. Er bestätigt und erweitert die bisherigen Aussagen: Insgesamt würden weit über 100. 000 Menschen in 36 derartigen Konzentrationslagern festgehalten. Allein im größten der Lager, Jilin, Code-Name 672-S, sind nach seinen Aussagen über 120. 000 Menschen inhaftiert. Und die deutschsprachigen Medien schweigen.

Am 20. April, als sich US-Präsident Bush und der chinesische Präsident Hu Jintao in Washington treffen, treten die beiden ersten Zeugen zum ersten Mal aus ihrer Anonymität heraus. Sie sprechen auf einer Pressekonferenz in der Nähe des Weißen Hauses. Für ihren gefährlichen Auftritt haben sie bewußt den Zeitpunkt gewählt, an dem die Hauptstadt zusammen mit China im Mittelpunkt des Medieninteresses steht. Und die deutschsprachigen Medien schweigen immer noch.

Erst als Dr. Wang Wenyi auf der Pressebühne im Garten des weißen Hauses diese ungeheuerlichen Anschuldigungen lauthals vorträgt und die beiden Führer auffordert, diese Zustände zu beenden, gibt es Veröffentlichungen in den deutschsprachigen Medien. Sie nennen aber lediglich den Namen der Rednerin, vielleicht noch, dass sie eine Falun Gong Anhängerin ist und als Presservertreterin der Falun Gong nahen Epoch Times in die Veranstaltung gekommen ist. Ansonsten werden zusammenhanglos Bruchstücke der Forderungen von Dr. Wang Wenyi zitiert, obwohl es ein leichtes gewesen wäre, den genauen Wortlaut aus Fernsehaufzeichnungen übersetzen zu lassen. Auch im Internet sind der volle Wortlaut und Informationen über den Hintergrund der Aktion und der Person Wang Wenyis zu finden.

Sind wir auch Abnehmer geraubter Organe?

Dort findet sich auch die begründete Befürchtung, dass wir bisher nur die Oberfläche eines Eisbergs entdeckt haben könnten: „Wenn das alles aufgedeckt wird, dann wird die Welt nur noch sprachlos sein.“, werden weitere Ärzte zitiert, die bisher aus Angst vor Verfolgung noch keine Aussagen zum Thema machen wollen. Eine Richtung in die das gehen könnte, formuliert der anonym auftretende ehmalige Militärarzt: „[…] es werden Chinesen, die bestimmte körperliche Kriterien erfüllen, über ein Netzwerk als Produkte ins Ausland exportiert. Die Organtransplantationen werden im Ausland durchgeführt und dort werden die Körper auch vernichtet.“ Wenn diese Angaben stimmen, so könnten auch die USA, Europa und Deutschland in dieses Netzwerk des Organraubs verwickelt sein. Eine Vermutung die angesichts der jahrelang möglichen Geheimflüge der CIA und der mutmaßlichen US-Gefangenenlager in Europa durchaus im Bereich des Möglichen liegt.

Noch zwei verschwiegene Themen

Neben diesen Ungeheuerlichkeiten wirken die beiden weiteren Themen etwas blaß, doch auch sie sind von einem Gewicht, das die Medien, wenn sie ihrer Aufgabe gerecht werden wollten, nicht hätten vernachlässigen dürfen. Das erste Thema betrifft eine gewaltige Austrittswelle von inzwischen mehr als 10 Millionen Menschen aus der Kommunistischen Partei Chinas, ausgelöst durch die im November 2004 veröffentlichten Neun Kommentare, die für viele Chinesen erstmals beschreiben, welche Greueltaten von der KPC begangen wurden und deren über Jahrzehnte aufgebautes Propagandagebäude wie ein Kartenhaus zusammenfallen lassen. Da verliert die mit einem absolutistischen Machtanspruch regierende Partei eines unserer wichtigsten Handelspartner fast 20 Prozent ihrer Mitglieder und die Medien haben keine Zeile dafür übrig.

Im zweiten Themenkreis geht es um den chinesischen Rechtsanwalt Gao Zhisheng, der noch im Jahre 2001 vom Justizministerium der kommunistischen Regimes in Peking zu den zehn besten Anwälten gezählt wurde. Im vergangenen Jahr hat dieselbe Behörde sein Büro schließen lassen, weil der bekennende Christ begonnen hatte, sich zunehmend um die Opfer rücksichtsloser Enteignungen und später auch um verfolgte Falun Gong-Praktizierende zu kümmern. Mit seinen Befragungen vor Ort dokumentierte er unerhörte und schreckliche Geschehnisse. Diese sandte er in Form von drei offenen Briefen an die chinesische Regierung.

Der dritte Brief beinhaltet Interviews mit Falun Gong-Praktizierenden, die über ihre Verfolgung und grausamste Folter berichten. Seither leiden er und seine Familie selbst unter massiver und lebensbedrohender Verfolgung seitens der chinesischen Machthaber. Wo bleiben die unterstützenden und Mut machenden Beiträge der deutschsprachigen Medien, die seinerzeit ausführlich und stets aktuell über Wolf Biermann, Robert Havemann, Václav Havel, Alexander Solschenizyn oder Bärbel Bohley berichteten und die haarklein die Details der orangenen Revolution in der Ukraine oder das gesamte Umfeld der Wahlen in Weißrußland ausleuchteten?

Die Medien im Fokus

Das Schweigen des größten Teils der deutschsprachigen Medien veranlaßte mich, mit einer Untersuchung zum Thema „Berichterstattung über China“ zu beginnen. Eine systematische Beobachtung und Auswertung von Printmedien, Radio und Fernsehen ging über meine Möglichkeiten hinaus. Also begann ich mit der weniger aufwändigen Beobachtung der Onlinemedien. Zudem machte ich eine Umfrage unter den 150 wichtigsten deutschsprachigen Medien.

Da inzwischen jedes Printmedium, das etwas auf sich hält, eine Onlinepräsenz hat und auch Radio und Fernsehen mit umfassenden Onlinepräsenzen vertreten sind, ist dieses Gebiet ideal für eine nahezu allgemeingültige Untersuchung mit geringen finanziellen Mitteln und wenig zeitlichem Aufwand. Auch die inzwischen zumeist eigenständigen Redaktionsstäbe für die Online-Berichterstattung sind kein wirkliches Hindernis für die Ableitung allgemeingültiger Aussagen, da die Onlineredaktionen in ihrer Ausrichtung zumeist den gleichen Unternehms- und Organisationsprinzipien verpflichtet sind, wie ihre jeweiligen Pendants in den Bereichen Print, Radio und Fernsehen.

Schlüsselbegriffe unter der Lupe

Zur Analyse wurde die Suchmaschine Google verwendet. Neben Suchanfragen wurden auch so genannte Alerts genutzt. Dabei werden die zu beobachtenden Begriffe in ein entsprechendes Formular der Suchmaschine eingegeben und diese schickt dann jede in den von ihr durchforsteten 700 deutschsprachigen Online-News-Quellen gefundene Nachricht, die einen der gesuchten Begriffe enthält, an die im Formular angegebene E-Mail-Adresse. Den ersten Alert setzte ich am 26.2.06, den letzten am 3.5.06. Insgesamt wurden acht Alerts gesetzt. Alerts, die nach dem 9.5.2006 bei mir eintrafen, fanden keine Berücksichtigung mehr bei der Untersuchung. Ausserdem wurden einige Themen mit einmaligen oder sporadischen Suchanfragen in Form von Momentaufnahmen ausgeleuchtet.

Die zum jeweiligen Alert oder zu einer Suchanfrage gefundenen Dokumente wurden aufgeteilt in Beiträge der Neuen Epoche, die zu chinaspezifischen Themen eine besonders ausführliche Berichterstattung bereitstellt, und Beiträge der Mainstream-Medien. Zu letzteren zählen im Zusammenhang der Untersuchung die Onlineausgaben aller bedeutenden Printmedien sowie wichtige Publikationen von Radio und Fernsehen. Kurz, alle von Google News durchforsteten Onlinemedien bis auf die Neue Epoche.

Die Austritte aus der KPC und der Rechtsanwalt Gao Zhisheng

Um die Widerspiegelung der massenhaften Austritte aus der Kommunistischen Partei Chinas kümmerte ich mich nur wenig, da sie bereits im November 2004 begannen und meine seither durchgeführten sporadischen Beobachtungen immer eine gegen Null tendierende Berichtertstattung der Mainstream-Medien ergaben, während Falun Gong nahe Websites und die Neue Epoche sogar Zähler mit den aktuellen Austrittszahlen auf ihren Seiten haben. Eine Steigerung des Aktualitätswertes war hier auch bei Überschreitung der 10 Millionen-Grenze nicht zu erwarten, eine Berichterstattung der Mainstream-Medien erschien mir unwahrscheinlich. Ein Fazit zu diesem Thema läßt sich also einfach ziehen: Der Mitgliederschwund der KPC, der eineinhalb Jahre nach dem Erscheinen der Neun Kommentare schon weit über 10 Prozent hinausgeht, wird von den Mainstream-Medien totgeschwiegen. Sie machen sich nicht einmal die Mühe, die Aussagen zum Thema in Frage zu stellen.*)

Zu einer systematischeren Beobachtung entschloss ich mich bei dem Thema Gao Zhisheng. Hier setzte ich ab dem 26. Februar den Google Alert „Gao Zhisheng“. Zusätzlich führte ich eine newsunabhängige Suche mit dem Suchbegriff durch, um noch alles an Beiträgen aus dem Netz zu fischen, was vor dem 26. Februar geschrieben wurde. Nur 25 Beiträge beschäftigen sich mit dem Thema. Davon waren allein 19 in der Neuen Epoche zu finden. Nur sechsmal wurde das Thema also von den Mainstream-Medien aufgegriffen. Dabei fällt insbesondere die Deutsche Welle mit zwei Beiträgen positiv auf, während der Beitrag von Berlin Online, den Eindruck erweckt, als sei ob er direkt von der KPC gesponsort sei.

Als Kontrapunkt, zur Ermittlung von Vergleichswerten, habe ich das Thema Shanwei ausgewählt, das nichts mit Falun Gong zu tun hat. Es geht um die Zusammenstöße zwischen Bauern und Polizei in Shanwei aufgrund ungerechter Enteignungen. Zwischen 20 und über 70 Toten wurden gemeldet. Amnesty International zog Parallelen zum Massaker auf dem Pekinger Platz des Himmlischen Friedens 1989. In den Medien finden sich trotzdem nur 35 Beiträge zum Thema. Elf davon in der Neuen Epoche.

Tabelle 1: Die Themen Gao Zhisheng und Shanwei im Vergleich. Legende: MM = Mainstream-Medien, DNE = Die Neue Epoche
Suchbegriffe / Alerts
MM DNE gesamt
Gao Zhisheng
6
19
25
Shanwei
24
11
35

 

Auch wenn die Berichterstattung der Mainstream-Medien angesichts der Bedeutung des Themas eindeutig zu mager ist, so hat ihr Anteil doch zugenommen. Während die Neue Epoche beim Thema Gao Zhisheng im Vergleich zu den Mainstream-Medien noch mehr als das Vierfache an Beiträgen produzierte, formulieren die Mainstream-Medien beim Thema Shanwei mehr als doppelt soviele Beiträge. Die Erhebungsbasis ist zwar nicht groß genug, um daraus allgemein gültige Erkenntnisse abzuleiten, eine Tendenz zeigt sie aber auf.

Die chinesischen Todeslager des organsierten Organraubes

Wie bei den massenhaften KPC-Austritten ist auch bei diesem Thema die Berichterstattung der Mainstream-Medien quasi unterhalb der Nachweisgrenze. Um die Abdeckung des Themas zu untersuchen wurden zunächst die Alerts „Sujiatun“ und „Shenyang“ genutzt. Die Provinzhauptstadt Shenyang liegt im Nordosten Chinas. Sujiaton ist der Stadteil, in dem sich das zuerst bezeugte Konzentrationslager befand. Der Alert „Organhandel“ stellt zudem einen thematischen Bezug her und zeigt, wie häufig dieses Thema von den Mainstream-Medien überhaupt aufgegriffen wird.

Nach der Aktion von Dr. Wang Wenyi wurde zudem mehrfach nach dem Namen des chinesischen Präsidenten „Hu Jintao“ gesucht. Eine Suche nach „Wang Wenyi“ wurde zwar auch durchgeführt, brachte aber nicht alle Beiträge zutage, da ihr Name manchmal gar nicht erwähnt wurde oder aber falsch geschrieben war. Deshalb erschien die Suche nach „Hu Jintao“ als der verläßlichere Weg.

Allein schon die Suche nach „Hu Jintao“ fällt für die Medien wenig schmeichelhaft aus. Da treffen sich die Führer zweier so gewichtiger Länder wie China und USA, die beide wichtige Handelspartner unseres Landes sind, und von 700 Onlinemedien berichten nur rund 80 über das Thema. Da kommen Zweifel auf, ob Google tatsächlich 700 Medien durchsucht. Die wurden allerdings anläßlich der Degradierung Oliver Kahns am 8. April doch eindrucksvoll entkräftet. Insgesamt 636 Onlinemedien griffen dieses Thema auf. Die Medien feiern eben immer noch die fußballdominierte Spaßgesellschaft.

Doch zurück zum traurigen Ausgangspunkt: Dem Todeslager in Sujiaton. Weder der Begriff „Sujiaton“ noch der Begriff „Shenyang“ tauchen in den Mainstream-Medien auf, jedenfalls nicht im Zusammenhang mit den Todeslagern. Die zum Alert „Shenyang“ gefundenen Berichte, immerhin 28 an der Zahl, beschäftigen sich stattdessen mit Themen wie der Olympiade 2008, den Vorhaben westlicher Firmen, wie Oracle und Volvo vor Ort, chinesischen Schriftzeichen, der Eröffnung der internationalen Gartenbaumesse und einer Bischofsweihe. Einzig die Pejing Rundschau weist mehr als einen Monat nach den ersten Veröffentlichungen die „Gerüchte auswärtiger Falung Gong-Organsisation zurück“. Die Neue Epoche verfasst zu beiden Begriffen gemeinsam insgesamt 13 Beiträge, und jeder Beitrag wiederholt nicht etwa alt Bekanntes, sondern wartet stets mit weiteren Neuigkeiten zum Thema der Todeslager in China auf.

Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Alert „Organhandel“. Die Neue Epoche bestreitet acht von insgesamt 24 Beiträgen und thematisiert als einziges Medium die Todeslager in China. 14 der Mainstream-Beiträge greifen das Thema immerhin kritisch auf, jedoch immer nur mit Bezug auf Organentnahmen von Hingerichteten und ohne eine Erwähnung der Todeslager, die Organentnahmen von Lebenden ermöglichen, die nicht einmal rechtmäßig verurteilt wurden.

 

Tabelle 2: Das Thema Organhandel, die Provinzhauptstadt Shenyang und ihr Stadtteil Sujiaton. Legende: MM = Mainstream-Medien, DNE = Die Neue Epoche, BT = Bezug zu Todeslagern
Suchbegriffe / Alerts
MM BT DNE BT
gesamt
BT
Shenyang / Sujiaton
23
1
16
13
39
14
Organhandel (China)
16
0
8
8
24
8

 

Zwei der Mainstream-Medien greifen gar einen vermeintlich positiven Aspekt auf: Ein von Peking geplantes Gesetz, das ab Juli dieses Jahres den Organhandel verbieten oder zumindest doch erheblich einschränken soll. Katrin Willmann vom Institut für Asien-Kunde in Hamburg erklärt hierzu, dass es bereits seit 1984 eine Verordnung gebe, nach der Familienangehörige einer Organentnahme zuvor zustimmen müssen. Zum Teil mangele es auf der lokalen Ebene an der Umsetzung der nationalen Gesetze. Es bleibt also abzuwarten, ob die von Peking geplanten schärferen Gesetze auch tatsächlich überall umgesetzt werden.

Der Auftritt von Dr. Wang Wenyi

Die Suche nach „Hu Jintao“ und „Wang Wenyi“ brachte 57 unterschiedliche Artikel zutage, die sich mit seinem Besuch bei Bush befassen. Vier davon trug die Neue Epoche bei. 47 der Artikel greifen den Vorfall auf der Pressetribühne im Garten des Weißen Hauses auf. 25 davon gehen auf die Aussagen Dr. Wang Wenyis ein. 19 Artikel der Mainstream-Medien erwähnen die Aussage „Hu, Deine Tage sind gezählt“, einer erwähnt die Aussage „Stoppen Sie diesen Mann“, drei zitieren „Haltet ihn ab vom Töten“ und weitere zwei nehmen die Aussage „Verfolgung von Falun Gong stoppen“ in ihren Beitrag auf. Die beiden letzten stammen aus der Neuen Zürcher Zeitung. Von den deutschen Medien wird diese Aussage überhaupt nicht aufgegriffen, das Thema Falun Gong also erneut verschwiegen.

Tabelle 3: Der Auftritt von Dr. Wang Wenyi und ihre Kernaussagen im Spiegel der Medien. Legende: MM = Mainstream-Medien, DNE = Die Neue Epoche
Suchbegriffe / Alerts
MM
DNE
gesamt
Besuch Hu Jian Taos
53
4
57
Bericht über Dr. Wang Wenyi
44
3
47
Aussagen von Dr. Wang Wenyi
23
2
25
"Hu, Deine Tage sind gezählt"
19
2
21
"Stoppen Sie diesen Mann"
1
0
1
"Haltet ihn ab vom Töten/Morden"
3
2
5
"Verfolgung von Falun Gong stoppen"
2
2
4

Keines der untersuchten Medien, bis auf die Neue Epoche, brachte die wirklich wichtigen Aussagen Dr. Wang Wenyis, und das, obwohl die Aussagen vollständig von jedem der vor Ort anwesenden Medien mitgeschnitten wurden und zum Teil auch komplett von englischsprachigen Medien verbreitet wurden. Auch auf Deutsch waren die Aussagen Dr. Wang Wenyis nachlesbar: In der Neuen Epoche. Die Neue Epoche ist auch das einzige Medium, das die ersten nicht anonymen öffentlichen Auftritte der beiden ersten Zeugen in der nähe des Weißen Hauses nahezu zeitgleich zum Hu Jintao Besuch erwähnt und die Falun Gong spezifischen Hintergründe der Proteste (insbesondere auch die Todeslager) vor dem Weißen Haus thematisiert.

Hier nun die Worte, die Dr. Wang Wenyi auf der Pressetribühne im Garten des Weißen Hauses gerufen hat: „KPC verheimlicht ihr Verbrechen, Organe von Falun Gong-Praktizierenden bei lebendigem Leibe in Arbeitslagern zu entnehmen“, „Präsident Bush, lassen Sie ihn damit aufhören, Falun Gong zu verfolgen!“ und „Hu Jintao, Deine Tage sind gezählt“. Ihre Motivation für diesen Auftritt ergab sich aus ihrer führenden Rolle bei der Untersuchung der Todeslager. Aufgrund ihrer ärztlichen Kompetenz half sie, die Berichte über den Organraub fachlich zu beurteilen. Sie arbeitete auch eng mit den beiden ersten Zeugen zusammen und sie wußte darum, dass die chinesischen Behörden versuchten mit jedem weiteren Tag Spuren zu verwischen und Beweise zu vernichten. Das bedeutete, dass mit jedem Tag, den die internationale Öffentlichkeit zögerte das Geschehen zu publizieren, weitere Falun Gong-Praktizierende und wie inzwischen bekannt wurde auch andere wegen ihres Glaubens Verfolgte als Organlieferanten mißbraucht und getötet werden.

Doch anstatt ihr tatkräftig zur Seite zu stehen und damit weiteren Zeugen die Angst vor einer Aussage zu nehmen, scheinen die Medien nur ein kommerziell ausgerichtetes Interesse an der Verwertung von Sensationen zu haben und hinderten Dr. Wenyi Wang zum Teil aktiv daran, bei Interviews darüber zu sprechen, warum sie wirklich die Zwischenrufe gemacht hat. Neben der kommerziellen Motivation der Medien für ihre Berichterstattung gibt es aber auch Anzeichen für massiven Druck, der die Journalisten daran hindert, das Thema ausführlich aufzugreifen: „In meinen Gesprächen mit internationalen Medien haben manche meiner Gesprächspartner geäußert, dass sie die Organentnahmen an Lebenden für wahr halten. Aber sie können den Druck nicht ertragen, wenn sie darüber berichten würden, und das betrifft wahrscheinlich auch noch die Beziehungen zwischen China und ihren jeweiligen Heimatländern. Daher können sie sich nicht dazu äußern.“, konstatiert Dr. Wang Wenyi.

Kritische Berichte ja – aber nicht zu allen Themen

Dieser Druck wird vermutlich aber nur bei ausgewählten Themen massiv ausgeübt, was beispielhaft drei am 5.3.06 archivierte Übersichts- und Dossierseiten belegen, die auf den ersten Blick eine ausführliche und auch kritische Berichterstattung über China bereitstellen So listet Tagesschau.de unter dem Titel „China im Wandel – Rekordlauf auf Messers Schneide“ insgesamt 37 verlinkte Titel und Leads zu Beiträgen sowie etliche externe Links mit Chinabezug auf, die unter anderem Themen wie Internetzensur, Umweltverschmutzung, Bauernaufstände und weiteres durchaus kritisch aufgreifen. Das Thema Falun Gong sucht man jedoch vergeblich auf dieser Übersichtsseite, obwohl 70 bis 100 Millionen Menschen von der Verfolgung durch das chinesische Regime betroffen sind.

Ähnlich sieht es bei der Deutschen Welle aus. Die dort unter dem Titel „Chinas Wandel und Schwierigkeiten“ zusammgestellten Links auf 13 Beiträge thematisieren eine Vielzahl kritischer Themen. Das Thema Falun Gong aber nicht. Ein Aufruf der beiden Seiten am 13.5.06 brachte das gleiche Ergebnis. Auch das Handelsblatt ist für seine ausführliche und ausgewogene Berichterstattung bekannt. Sauber in Kategorien aufgeteilt, bietet es in seiner Onlineausgabe rechts neben einem Artikel zu sozialen Unruhen in China noch weitaus mehr Links zu Beiträgen an, als die beiden zuvor genannten Medien. Nach dem Begriff Falun Gong sucht man aber auch hier vergeblich.

Worin liegen die Gründe für das Schweigen unserer Medien zu diesem Themenkomplex? Lassen sie sich von Mächten, die dezent im Hintergrund bleiben, unterdrücken oder kaufen? Vielleicht ähnlich wie es Bettina Röhl in ihrem kürzlich erschienen Buch „So macht Kommunismus Spaß!“ am Fall der Zeitschrift „Konkret“ beschreibt, die mit monatlichen Geldzahlungen von der DDR „gesponsort“ wurde und dafür der DDR genehme Artikel veröffentlichte, gleichzeitig aber, zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit auch immer einen gewissen Anteil kritischer Artikel plazierte?

Top-Tabuthema: Falun Gong

Falun Gong ist jedenfalls das Thema, dessen Tabuisierung beim chinesischen Regime höchste Priorität besitzt. Ein Zitat aus einer Information des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger e.V. (BDZV), die zu einer Podiumsdiskussion anläßlich des Internationalen Tages der Pressefreiheit einlädt, macht nachdenklich, wie weit das kommunistische Regime Chinas schon Einzug in die höchsten Etagen der deutschen Medien gefunden hat. Dort heißt es zum Thema Pressefreiheit in China: „Keine Zeitung und kein Fernsehsender würden es wagen, an die Taiwan-Frage, die Verfolgung von Dissidenten oder das Massaker auf dem Tiananmen-Platz zu rühren.“ Das Thema Falun Gong, wird in diesem Zusammenhang nicht genannt. Traut sich selbst der BDZV, noch dazu anläßlich eines so besonderen Tages nicht, dem Regime in China, die Stirn zu bieten und das chinesische Top-Tabuthema ausdrücklich beim Namen zu nennen?

Dann würde die Aussage von Henrik Bork, zurzeit China-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, auf der oben genannten Podiumsdiskussion eine weitere Bestätigung erfahren: „Das Regime nimmt nicht nur in China alle Fäden in die Hand, sondern geht auch im Ausland bei den Vorständen der Firmen oder Medien ein und aus, um seine Wünsche durchzusetzen. Wir alle sind geblendet von den Wolkenkratzern in Shanghai. Die Angst davor, eine Geschäftschance zu verlieren, erzeugt Druck – auch auf die Medien. Die Schere im Kopf ersetzt dann die Zensur.“

Umfrage unter den 150 wichtigsten Medien

Die Meldungen über chinesische Konzentrationslager motivierten mich, meine Untersuchungsmethoden zu erweitern. Ich wollte zumindest die wichtigsten Medien auch zum Thema befragt haben. Also entwarf ich ein Anschreiben und einen Fragebogen, die ich mit dem Betreff „Drei Themen – Drei Tabus?“, per E-Mail oder Fax am 11. April 2006 an die 150 wichtigsten Printmedien und Nachrichtenredaktionen in Radio und Fernsehen verschickte.

Er enthielt drei Fragen mit jeweils fünf Antwortmöglichkeiten, die mir Aufschluß über den Hintergrund der Berichterstattung zu den genannten drei Themen geben sollten. Wenn es um die Verfolgung von Falun Gong-Praktizierenden ging, sprach ich stets von „wegen ihres Glaubens verfolgten“, da mir bekannt war, dass für einige Redaktionen Falun Gong ein rotes Tuch ist. Im Nachhinein stellte sich diese Formulierung aber auch aus anderen Gründen als angemessen heraus, da inzwischen berichtet wird, dass auch weitere Gruppen, wie Christen und Uiguren in den Todeslagern sitzen sollen. Rücksendeschluß des Fragebogens war der 21. April 2006.

Keine Zeit für Umfragen?

Von 150 angeschriebenen und verifizierten Adressen schickten nur RTL News am Morgen, Bild am Sonntag und die Stuttgarter Nachrichten einen ausgefüllten Fragebogen zurück, also ein recht bescheidener Rücklauf von zwei Prozent. Zwei weitere Medien schickten zwar nicht den Fragebogen zurück, formulierten aber wenigstens eine Antwort. Der Rest reagierte gar nicht.

Während RTL News am Morgen davon ausging, dass keines der Themen ihre Leser genügend interessiere und angab, dass es zudem andere Gründe gab, zum Thema nichts zu veröffentlichen, ging Bild am Sonntag bei den ersten zwei Themen davon aus, dass die Leser sich nicht genügend dafür interessieren würden und gab an, am 8. Januar 2006 über das dritte Thema, die illegalen Organentnahmen an wegen ihres Glaubens verfolgten Personen, berichtet zu haben. Zu dieser Zeit war aber zu dem genannten Thema noch nichts bekannt und ein Blick in die entsprechende Ausgabe ergab, dass Bild am Sonntag zwar eine Story über die Ausweidung von Hingerichteten zwecks Organtransplantationen gebracht hatte, wegen ihres Glaubens verfolgte aber nicht explizit in diesem Zusammenhang erwähnte.

Der einzige Lichtblick bei den Rückläufen waren die Antworten der Stuttgarter Nachrichten. Diese gaben an, zu den massenhaften Austritten aus der KP Chinas zu recherchieren und sobald wie möglich einen Bericht dazu veröffentlichen zu wollen. Beim Thema Gao Zhisheng gingen sie davon aus, dass das ihre Leser nicht genügend interessieren würde und beim Thema Organhandel mit Unschuldigen gaben sie an, nicht über genügend Ressourcen für eine Recherche zum Thema zu verfügen. Die Redaktion Radiowelt des Bayern2Radio gab an, über verschiedene heiße Eisen in China berichtet zu haben und führte diese auch im Einzelnen an, antwortete damit aber nicht auf den Fragebogen. Brandeins erklärte sich in seiner Antwort als Wirtschaftsmagazin für nicht zuständig.

Fazit der Umfrage ist also: Die überwiegende Mehrheit der deutschen Medien ignoriert Fragen zur Berichterstattung über kritische Themen in China. Sie antwortet einfach gar nicht. Über die Gründe für ein derartiges Verhalten läßt sich nur spekulieren. Fazit aller Untersuchungsergebnisse zusammen: Die Masse der deutschsprachigen Medien verschweigt ihren Lesern, Zuschauern und Hörern wichtige Informationen zur Lage in China. Es gibt allerdings etliche Anhaltspunkte, dass viele Journalisten dieses Verhalten nicht aus Desinteresse an den Tag legen, sondern weil sie aus geschäftlichen oder politischen Gründen erheblichen Druck befürchten müssen, wenn sie sich zu Tabuthemen äußern.

Was nun?

Wenn Sie der Freiheit der Medien auf die Sprünge helfen wollen, dann wenden Sie sich doch an die Redaktion eines Mediums Ihrer Wahl. Schildern Sie dort Ihre Unzufriedenheit und drohen Sie mit Nichtbeachtung. Das könnte ab einer gewissen Masse finanziellen Gegendruck erzeugen, zum Druck des Regimes aus China und dem von etlichen weiteren Interessengruppen, die meinen die Pressefreiheit in ihrem Sinne einengen zu dürfen. Damit Ihr Schreiben nicht kommentarlos unter den Tisch gekehrt wird, hinterlassen Sie es zugleich im Gästebuch dieser Website, damit es auch viele andere sehen können. Natürlich können Sie dort auch alles aufschreiben, was Sie sonst noch so bewegt, jedenfalls solange Sie damit nicht erheblich gegen die Netiquette oder gegen geltendes Recht verstoßen.

Zu guter Letzt gibt es auch noch ein wenig Positives zum Thema. espace.ch berichtete am 13.4.2006, dass die UNO die Falun Gong Folter-Vorwürfe prüfe. Der UNO-Sonderberichterstatter für Folter, Manfred Nowak, kündigte an, Anschuldigungen der Bewegung über Misshandlungen von 6000 seiner Anhänger in einem «Lager» nachzugehen.

 

Korrektur:

Auf vielen deutschsprachigen Seiten, die sich mit chinaspezifischen Themen beschäftigen, fand sich ein Banner, das Aufschluß über die aktuellen Austrittszahlen aus der KPC gab. Der genaue Text lautete: „KPC-Austrittswelle bereits bei xxxxxxxx.“ Aufmerksame Leser teilten mir mit, dass sich hier bei der Übersetzung aus dem Chinesischen Fehler eingeschlichen hätten.

Im Chinesischen wird in diesem Zusammenhang von San-Tui-Chao gesprochen. Dabei bedeutet San = Drei, Tui = Austritt und Chao = Welle. Frei übersetzt hieße das: „Die dreifache Austrittswelle“. Gemeint ist damit eine Austrittswelle aus einer oder mehreren von drei Organisationen:
Tuidui=Austritt aus einer Kinderorganisation, die einzige derartige Organisation in China ist die Kinderorganisation der KPC, vergleichbar mit den Jungen Pionieren in der ehemaligen DDR;
Tuituan=Austritt aus einem Jugendverband, gemeint ist in diesem Zusammenhang die kommunistische Jugendliga;
Tuidang=Austritt aus einer Partei, gemeint ist hier die KPC.

Die hier getätigte Aussage „Der Mitgliederschwund der KPC, der eineinhalb Jahre nach dem Erscheinen der Neun Kommentare schon weit über 10 Prozent hinausgeht, wird von den Mainstream-Medien totgeschwiegen.“ ist somit nicht ganz richtig. Allerdings sind auch die Austrittszahlen aus der KPC und den ihr zugehörigen Organisationen, die inzwischen kurz vor der 11 Millionen-Marke stehen, gesellschaftlich so bedeutsam, dass sie von freien Medien aufgegriffen werden müßten.